Demokratie und politische Beteiligung
Von Romina Ranke und Sebastian Krätzig
Welche Rolle spielt Beteiligung in einer Demokratie? Ein demokratisches Gesellschaftsbild zeichnet sich dadurch aus, dass es Menschen nicht als Untertan_innen begreift, sondern als Bürger_innen, die sich aktiv an politischen Prozessen beteiligen.[i] Demokratie und Beteiligung sind in diesem Sinne untrennbar miteinander verbunden. Dies äußert sich besonders offenkundig in Wahlen und Abstimmungen, die einen zentralen Baustein der demokratischen Legitimation von politischen Entscheidungen darstellen[ii].
Zahlreiche weitere Institutionen zeugen von dem Anspruch, auch über politische Wahlen hinaus allen Menschen in Deutschland eine Möglichkeit zu geben, mitzubestimmen und unsere Gesellschaft mitgestalten zu können: Integrationsräte, Jugendparlamente, Parteijugendorganisationen, Bürgerinitiativen und zivilgesellschaftliche Vereine sowie viele andere Institutionen schaffen Plattformen, um gemeinsam Ideen und Lösungen zu entwickeln und Einfluss zu gewinnen. Hierzu zählt nicht zuletzt auch das Recht auf Protest, sei es in Form von Versammlungen, Online-Kampagnen oder klassischen Leser_innenbriefen.[iii]
Handeln statt behandelt zu werden
Den zahlreichen Institutionen der formalen und informellen Beteiligung liegt der Anspruch zugrunde, politische Räume für Bürger_innen zu eröffnen. Doch was sind die ideellen Grundlagen dieses Anspruchs? Der Idee von Demokratie und politischer Beteiligung liegt ein von der Aufklärung geprägtes Menschenbild zugrunde: Dieses stuft uns Menschen grundsätzlich als frei und vernunftbegabt ein und schreibt uns eine unveräußerliche Menschenwürde zu.[iv] Aus einer solchen Vorstellung heraus – wie sie in den ersten Artikeln des deutschen Grundgesetzes angelegt ist – erscheint es nur als folgerichtig, dass auch alle Menschen an der gemeinsamen Gestaltung unserer Gesellschaft mitwirken können.[v] Dazu gehört auch, mitzubestimmen, welche Regeln in unserer Gesellschaft gelten sollten.
Dies trifft besonders offenkundig zu, wenn Regeln und Entscheidungen uns unmittelbar betreffen beziehungsweise wenn uns deutlich wird, dass und inwieweit politische Entscheidungen einen Bezug zu unserem alltäglichen Leben haben. Als mündige Wesen möchten wir, dass nicht über uns bestimmt wird, sondern wir mitbestimmen können. Dies bedeutet, nicht nur behandelt zu werden, sondern selbst zu handeln.
Im Austausch miteinander
Wo findet politische Beteiligung statt? Im engeren Sinne zielt politische Beteiligung auf die Beeinflussung politischer Prozesse ab. In einem weiteren Sinne können wir Politik auch im alltäglichen Miteinander entdecken. Politik ist nicht an bestimmte Institutionen gebunden, sondern entsteht immer dann, wenn Menschen als frei Handelnde aufeinander treffen und in Austausch miteinander treten.
Hannah Arendt schreibt hierzu: „Politik handelt von dem Zusammen- und Miteinander-Sein der Verschiedenen.“[vi]
Die Einzigartigkeit eines jeden Menschen bedingt die Notwendigkeit, in einen Austausch miteinander zu treten. Wir haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht, haben unterschiedliche Vorlieben und Überzeugungen und treffen unterschiedliche Wertentscheidungen. Stellen wir uns beispielsweise vor, in einer Klasse soll darüber entschieden werden, wohin die diesjährige Klassenfahrt gehen soll: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Vorstellungen weit auseinandergehen. Zwischen Meer und Bergen, Stadtausflug und Aktivurlaub ist vermutlich alles dabei. Dieses Beispiel scheint auf den ersten Blick vielleicht gar nichts mit Politik zu tun zu haben, doch bereits in diesen alltäglichen Situationen finden letztlich politische Aushandlungsprozesse statt, im Rahmen derer im besten Falle eine demokratische Kultur in unserer Gesellschaft gestärkt werden kann.
Bei diesem Szenario gibt es ebenso wie bei den meisten anderen politischen Fragen kein eindeutiges Richtig und Falsch. Es gibt keine „eine Wahrheit, die in ihrer Konsequenz die Menschen von der Politik ‚erlösen‘ würde“.[vii]
Sondern die Debatten bewegen sich in einem Dilemma zwischen verschiedenen Werten und Interessen. Darum diskutieren wir miteinander und versuchen im besten Fall, einander zu verstehen und gemeinsam nach kreativen Lösungen und Kompromissen zu suchen. Dieser Weg setzt letztendlich voraus, dass wir bereit sind, damit zu leben, wenn unsere Idealvorstellung einmal nicht umgesetzt wird oder wir überstimmt werden.
Beteiligung als andauernde Herausforderung
Wie politische Beteiligung konkret ausgestaltet wird, wer sich beteiligen darf und wie Menschen in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden, ist fortwährender Gegenstand von Diskussionen und hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Besonders offensichtlich zeigt sich dies am Wahlrecht: In Deutschland wäre es heute undenkbar, das Wahlrecht aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit einzuschränken; und auch hinsichtlich der Frage, ab wann ein junger Mensch als politisch mündig gelten kann, haben sich die gesellschaftlichen Vorstellungen verschoben: Bei der Gründung der Bundesrepublik wurde die Altersgrenze noch bei 21 Jahren angesetzt, inzwischen dürfen bereits 16-Jährige auf kommunaler Ebene wählen.
Auch aktuell diskutieren wir in Deutschland immer neu darüber, welche Grenzen der Mitbestimmung gesetzt werden dürfen. Anhand der wiederholten Debatten um ein Wahlrecht ab der Geburt[viii], ein kommunales Wahlrecht für Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft[ix] und die Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene[x] zeigt sich, dass eine Begrenzung politischer Beteiligungsrechte in einer modernen Demokratie gut begründet werden muss, um Bestand zu haben.
Jenseits dieser formalen Rechte wird zudem immer wieder die Frage gestellt, wie es um die tatsächlichen Verwirklichungschancen politischer Beteiligung steht. Denn in der Praxis zeigt sich, dass soziale Ungleichheiten und gesellschaftliche Machtverhältnisse einen nicht unerheblichen Einfluss darauf entfalten, welche Menschen und Bevölkerungsgruppen die verschiedenen Beteiligungsmöglichkeiten tatsächlich nutzen (können).[xi] Politische Beteiligung ist insofern ein in unserer Gesellschaft inzwischen fest verankerter Wert, dessen Verwirklichung eine andauernde Herausforderung bleibt.
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[i] Vgl. Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie, 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2009, S. 35.
[ii] Vgl. Bundeszentrale für Politische Bildung: Wählen gehen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2017, Band 38–39 (www.bpb.de/apuz/255955/editorial).
[iii] Vgl. hierzu ausführlich Text 2 „Orte und Möglichkeiten“ in diesem Dossier.
[iv] Vgl. Kant, Immanuel: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, in: Hansen, Frank-Peter (Hrsg.): Philosophie von Platon bis Nietzsche, Digitale Bibliothek Band 2. Directmedia 1998, S. 73 ff.
[v] Vgl. Besson, Waldemar/Jasper, Gotthard: Bausteine einer freiheitlichen Staatsordnung. Das Leitbild der modernen Demokratie, Bonn 1991, S. 12.
[vi] Arendt, Hannah: Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlaß, München 1993, S. 9.
[vii] Schwarz, Martin et al.: Grundbegriffe der Politik, Baden-Baden 2015, S. 136 f.
[viii] Vgl. beispielsweise https://wahlrecht.jetzt/ sowie Solms, Hermann Otto/Sensburg, Patrick: Sind sie für ein Wahlrecht ab Geburt?, in: Focus Online. 13.05.2017, URL: https://www.focus.de/politik/deutschland/die-debatte-sind-sie-fuer-ein-wahlrecht-ab-geburt_id_7125837.html [eingesehen am 05.09.2018].
[ix] Vgl. Groenendijk, Kees: Wahlrecht und Partizipation von Migranten. Kurzdossier, in: Bundeszentrale für politische Bildung. 22.05.2014, URL: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/184436/wahlrecht-und-partizipation-von-migranten [eingesehen am 05.09.2018].
[x] Vgl. beispielsweise https://www.mehr-demokratie.de.
[xi] Vgl. hierzu ausführlich Text 3 „Politische Gleichheit bei sozialer Ungleichheit“ in diesem Dossier.